Weihnachtsbotschaft 2015

Weihnachtsbotschaft 2015

Und der Engel sprach zu ihnen: „Fürchtet euch nicht!“ (Lukas 2,10)

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Mitglieder der Christlichen Liberalen,
werte Parteifreundinnen und Parteifreunde!

Und der Engel sprach zu ihnen: „Fürchtet euch nicht!“ (Lukas 2,10)

Notunterkünfte überall. Menschen, mit provisorischen Behausungen. Zelte, heruntergekommene Unterstände, Gartenhütten, Erdhöhlen, Rumpelkammern. Menschenmassen und kein Ende in Sicht. Eine einheimische Bevölkerung, die sich vor schwere, schier unlösbare Aufgaben gestellt sieht. Es brodelt unter ihnen. Eine Frage der Zeit, bis die Lage eskaliert. Die Menschen, sie fühlen sich alleine gelassen in diesem Ansturm, überrannt und überfordert. Man wurschtelt sich irgendwie durch, mehr schlecht als recht. Und da ist niemand, der ihnen sagt, wie das alles funktionieren soll. Wie man dem Ansturm Herr werden kann. Keiner, der eine Obergrenze festlegt. Der den Einheimischen sagen könnte, wie viele Menschen noch kommen. Niemand, der ihnen zuruft: „Wir schaffen das!“

Hätten Sie es erkannt? Nicht, was Sie vielleicht denken – die hier beschriebene Szene spielt in Bethlehem. Die Obrigkeit hat eine Volkszählung befohlen, bei der sich jeder in seinem Heimatort zu registrieren hat. Voll ist es geworden in der kleinen Stadt Bethlehem, voll wie in vielen anderen Städten auch. So voll, dass es keine Unterkünfte mehr gibt. Der Platz wird eng: „Sie hatten sonst keinen Raum
in der Herberge“, heißt es in Lukas 2,7. In der Bibel hören wir das über Maria und Josef – doch wie vielen anderen Neuankömmlingen in Bethlehem wird es genauso gegangen sein?

Jene Bilder, die die Weihnachtsgeschichte zeichnet, scheinen uns derzeit besonders anschaulich. Jede Wette, dass gefühlt jede zweite Weihnachtspredigt den Finger auf die aktuelle Flüchtlingsproblematik legen wird. Oder klingt „Problematik“ bereits zu negativ? Man muss seine Worte gut wägen in diesen Tagen, um sich nicht unversehens in die eine oder andere Ecke zu stellen.

Weihnachten mit seinen vollen Kirchen und dem vielfach beschworenen Gemeinschaftssinn ist besonders anfällig für politische Instrumentalisierungen. Beispiel? Da ist eine Familie, die fliehen muss vor einem gewaltbereiten Herrscher, der für die Sicherung seiner Dynastie über (Kinder-)Leichen geht, so berichtet uns der Evangelist Matthäus: »Da stand Josef auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und entwich nach Ägypten« (Mt 2,14).

Eine der klassischen Flüchtlingsgeschichten, perfekt inszeniert für eine parteipolitische Predigt: Jesus und seine Familie verdanken ihr Überleben der Flucht und der Aufnahme in einem anderen Land. Die Bibel fordert also ein offenes Asylrecht, das Schutz bietet für alle, die Schutz bedürfen. So könnten die Einen argumentieren. Andererseits: Josef und Maria kehrten wieder zurück in ihre Heimat, als die Bedrohung nicht mehr da war – klingt das nicht eher nach einem subsidiärem Schutz, den sie in Ägypten für die Zeit ihrer Flucht genossen? So könnten die anderen argumentieren. Und so weiter. Auch dieses Jahr, so ist anzunehmen, steht uns wieder ein hochpolitisches Weihnachten bevor.

Meine Befürchtung ist, dass wir dadurch die eigentliche Weihnachtsbotschaft derartig verwässern, dass wir sie gar nicht mehr verstehen können. Allzu oft erzeugen die Weihnachtspredigten vor allem einen „ethischen Hochleistungsdruck“ (F. W. Graf), der von den Menschen fordert, gütiger, umweltfreundlicher, friedlicher oder solidarischer, sprich: besser zu sein. Allzu oft verwechseln Weihnachtspredigten Glaube mit Moral: Ein Weihnachtsengel, der nicht mehr „Fürchtet euch nicht!“, sondern „Wir schaffen das!“ und „Habt einander lieb!“ verheißt.

Doch es geht genau um das: um „Fürchtet euch nicht!“. Gott wird Mensch – ein Gott, der sich niedrig und gering macht, um uns Menschen groß zu machen. Menschen, die sich fortan nicht mehr kleinmachen müssen im Angesicht der biblischen Ge- und Verbote. Sondern aufleben können und dürfen, sich in gemeinschaftlicher Nächstenliebe dem Mitmenschen zuwenden können. Nicht aus schlechtem Gewissen, nicht aus moralischer Verpflichtung, nicht aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung. Sondern aus freier und selbstverantworteter Erkenntnis.

Die Angst, dem Anspruch Gottes nicht gerecht zu werden; das Anrennen von inneren und äußeren Wänden; religiöser Selbstzweifel oder ethisch-moralischer Optimierungswahn – all dem schmettert der Engel kraftvoll das „Fürchtet euch nicht!“ entgegen. Und zwar nicht nur einer kleinen politisch korrekten Gutmenschen-Elite, sondern „allem Volk“! Der Beginn einer wunderbaren Freiheitsgeschichte. Eine Revolution, die in der Krippe stattfindet.

Niemand von uns hat etwas dagegen, ein (noch) besserer Mensch zu werden. Doch es geht an Weihnachten um viel mehr als nur um einen politisch-moralischen Appell, ein besserer Mensch zu werden. Es geht um eine grundlegende Umkehr, weil sich auch Gott den Menschen im kleinen Jesuskind grundlegend neu zugewendet hat. Eine Umkehr, die gegenüber anderen Menschen nicht als moralische Pflichterfüllung sichtbar wird, sondern als aufrichtige Dankbarkeit über die Befreiung von der Sünde.

Wer das verkürzt auf moralische Appelle, besserwisserische Konsumkritik oder rührselige Hirtenromantik, führt die Menschen von der eigentlichen Weihnachtsbotschaft weg. Weihnachten ist mehr als die alljährliche Mahnung, dass wir unsere Gesellschaft bitte noch ein bisschen gerechter, ökologischer oder pazifistischer gestalten. Das ist zwar alles nicht falsch, aber doch vor allem aus Gründen, die außerhalb von Weihnachten liegen. Nur wer sich Weihnachten religiös annähert, kann den politischen Horizont von Weihnachten erfassen – und nicht umgekehrt. Alles andere bleibt in billig-wässriger Trivialmoral stecken, wie sie jede Regionalzeitung in ihrer Kommentarspalte besser zu bieten hat.

Weihnachten heißt: Gott wird Mensch, um uns in die Gotteskindschaft zurückzuholen und uns von der Macht des Bösen und der Sünde zu befreien. Wir müssen uns seine Gnade nicht erst erarbeiten, sondern sie wird uns geschenkt, so wie auch das Kind in der Krippe ohne unser Zutun geschenkt wird. Dadurch sind wir befreit zum Leben und zur Liebe gegenüber unseren Nächsten. Eine Befreiung, die, konsequent umgesetzt, im wahrsten Sinne die Welt verändern kann! In diesem Sinn ist Weihnachten eines der großen Freiheitsfeste im Kirchenjahr – DAS ist die wahre politische Botschaft von Weihnachten!

Ich wünsche Ihnen allen ein frohes und
gesegnetes Weihnachtsfest!

Ihr
Dr. Christian Mack
Beisitzer
Christliche Liberale – Christen bei den Freien Demokraten Baden-Württemberg e.V.