Beckmann: Dienstweg – kein Durchgang?

Bundeswehr in der Perspektive verantworteter Demokratiepolitik

Rezension von Roland A. Kohn

Wer schon einmal ein politisches Mandat oder Amt innehatte, kennt diese drei Probleme: kaum Zeit für die Reflexion des eigenen Tuns und die Entwicklung sinnvoller Problemlösungen; die Mühsal des Durchstoßens der Metaebene in der jeweiligen politischen Blase hin zur unverstellten Wirklichkeit; schließlich die schwierige Kunst des Auseinanderhaltens von Expertise und Lobbyismus.

Dr. Klaus Beckmann, Pfarrer, ausgewiesener Theologe, Militärseelsorger bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr und Persönlicher Referent des evangelischen Militärbischofs, hat eine „Erinnerungs- und Streitschrift“ vorgelegt, die es in sich hat.

Da ist zunächst die biographisch grundierte Auseinandersetzung mit den Denkhorizonten der eigenen Kirche. Das historische Versagen des Christentums vom Judenhass bis zum Duckmäusertum gegenüber dem Nationalsozialismus dürfe nicht das letzte Wort im Horizont des Glaubens sein: „Ungetröstetes Schuldbewußtsein macht handlungsunfähig.“ Wer für eine relativ bessere Welt eintrete, müsse als Individuum, als Nation und als Kirche das Kainszeichen als Verweis auf Gottes letztes Wort akzeptieren.

Da ist der Vorwurf an Gesellschaft und Politik, Menschen in bewaffnete Einsätze außerhalb des zivilen Normensystems zu schicken, die Soldaten mit ihren moralischen Skrupeln und seelischen Nöten dann aber gleichsam zu „vergessen“. Soldaten seien aber keine Exekutionsroboter, sondern Bürger in Uniform, die für ihren lebensgefährlichen Dienst Unterstützung verdienten.

Beckmann bringt es auf den Punkt: „Wo ‚die Politik‘ versagt, wird von Soldaten erwartet, ‚die Drecksarbeit’ zu erledigen.“ In widrigen Zeitläuften wie unseren mit autoritären Systemen in all ihren Formen – von China über Nordkorea bis Rußland und von Iran über Saudi-Arabien bis Indien – trage die Gesellschaft um so mehr Verantwortung für einen ehrlichen Diskurs über globale Interessen und Ziele des Gemeinwesens. Diesem Diskurs dürfe sie sich nicht verweigern.

Der Autor hat als Militärseelsorger die Bundeswehr bei Auslandseinsätzen in Afghanistan und Mali begleitet. Es sind also nicht bloß theoretische Reflexionen, von denen hier die Rede ist. Beckmann berichtet von beklemmenden Gesprächen mit Soldatinnen und Soldaten, die über  Ausrüstungsmängel, unzulängliche Personalplanung und -ausstattung oder auch über die offizielle Schönfärberei zum tatsächlichen Stand der entsprechenden Mission klagten. Zum Glück steht ja die evangelische Militärseelsorge außerhalb der militärischen Kommandostruktur.  

Aufgrund solcher Erfahrungen fordert der Autor u.a. ein Beurteilungssystem für Offiziere, das die konstruktive Konfliktbereitschaft fördere. Der Dienstweg dürfe nicht zur persönlichen Sackgasse werden. Der Boden dafür müsse aber in der Gesellschaft schon früher bereitet werden durch eine demokratische Pädagogik, die nicht auf kollektive „Abrichtung“ ziele sondern Courage prämiiere. Beckmanns Monitum: „Vielmehr muß die Demokratie sich selbst als so stark voraussetzen, daß sie individuelle Anfragen zulassen kann ohne bestimmte Fragesteller moralisch ausgrenzen zu müssen.“

Klaus Beckmanns neues Buch ist im eingangs beschriebenen Sinne ein überaus wichtiges Werkzeug gerade auch in der Hand von Entscheidungsträgern, um eine ethisch grundierte Sicherheitspolitik zu formulieren und zu gestalten.

Der Autor zeigt die Komplexität der Militärseelsorge auf: „Religion und Säkularität, universale Menschenrechte und Unterschiede zwischen Kulturen, Friedensziele und Gewaltanwendung, Staatlichkeit und gewachsene Macht der Stämme und Familienclans – und immer wieder: die Verantwortung des Einzelnen.“

Vielleicht hemmt die vielschichtige Analyse dieses Problemkreises – militärische Führungs- und Fehlerkultur, Friedensethik, Verantwortung des einzelnen Soldaten, Staatsbürger in Uniform, „Nationalpazifismus“, Militärseelsorge – ein wenig die Durchschlagskraft der Beckmannschen Argumente in der Öffentlichkeit; zumal der Titel seines Buches den Inhalt bei weitem nicht abdeckt.

Angesichts des Vernichtungskriegs Rußlands gegen die Ukraine aber müssen kritisch-konstruktive Stimmen wie die von Beckmann unbedingt mehr Gehör finden.

Denn Bonhoeffers bitteres Diktum bestätigt sich immer wieder, wonach die Macht der einen die Dummheit der anderen brauche.

Klaus Beckmann: Dienstweg – kein Durchgang? Als Pfarrer und Staatsbürger in der Bundeswehr – Eine Erinnerungs- und Streitschrift

Miles-Verlag, Berlin – 2022

ROLAND ARTUR KOHN

  • Ehemaliges Mitglied des Deutschen Bundestages
  • Ehemaliger Landesvorsitzender FDP/DVP Baden-Württemberg
  • Vizepräsident a.D. der Vereinigung ehemaliger MdB und MdEP, Berlin