Leimen. Seit dem Schuljahr 2018/19 hat die Stadt Leimen mit der Geschwister-Scholl-Schule in St. Ilgen eine Gemeinschaftsschule. Darum wurde politisch hart gerungen.
Kaum einer weiß jedoch, dass die Stadt Leimen bereits seit 150 Jahren eine Gemeinschaftsschule hat: Am 4. Januar 1869 begann der Unterricht in der Leimener Gemeinschaftsschule. Damals wurden zum ersten Mal katholische und evangelische Schüler zusammen unterrichtet. In der Stadt Leimen war damals eine der ersten konfessionell gemischten Schulen Badens.
Die FDP Leimen nahm dieses Jubiläum zum Anlass für einen Festvortrag zu dem Thema. Dieser fand am 4. Januar 2019, dem 150. Geburtstag der ersten Leimener Gemeinschaftsschule, statt.
Der Vorsitzende des FDP-Ortsverbandes, Alexander Hahn, begrüßte die Anwesenden und ging dabei auf das Thema „Integration“ im Generellen ein: „In jeder Epoche der Geschichte standen die Menschen vor der Herausforderung, wie man mit Fremdem umgeht. Man hatte dabei stets die Wahl: Suche ich nach Gemeinsamkeiten mit meinem Gegenüber, grenze ich mich von meinem Gegenüber ab oder ignoriere ich mein Gegenüber. Auch heute ist das so, wenn wir etwa über Migranten aus meist muslimischen Ländern sprechen. Hier sollte sich jeder Einzelne aus der ,Mehrheitsgesellschaft‘, aber auch jeder einzelne Migrant fragen, was moralisch richtig ist, und entsprechend danach handeln.“
Sodann hielt der Historiker und Theologe Dr. Ewald Keßler seinen Vortrag zur Gründung der Gemeinschaftsschule Leimen: Er begann diesen vor dem Historischen Rathaus Leimens, dem Palais Seligmann. Dort befanden sich vor 150 Jahren im Erdgeschoss die beiden Klassenzimmer der Gemeinschaftsschule. Im Ostteil des 1. Stocks waren Amtsräume der Gemeinde und im übrigen Gebäude Lehrerwohnungen.
Sodann ging Dr. Keßler auf die Gründungsumstände der Gemeinschaftsschule ein: Leimen war eine der ersten Gemeinden Badens, die eine Gemeinschaftsschule einführten. Leimen hatte im Jahr 1869 insgesamt 1680 Einwohner (1371 Evangelische, 269 Katholiken, 9 Mennoniten und 31 Juden) und es gab rund 290 Schulkinder.
Nachdem der Gemeinderat von Leimen die Vereinigung der protestantischen und der katholischen Konfessionsschulen beantragt hatte, setzte das Bezirksamt Heidelberg am 1. Juli 1868 die Abstimmung darüber in den beiden Schulgemeinden auf den 9. Juli 1868 fest. Die Zustimmung der Protestanten war klar, anders sah dies bei den Katholiken aus. Denn der Erzbischof von Freiburg war gegen die Gemeinschaftsschule. Viele Katholiken boykottierten daher die Abstimmung. Mit der denkbar knappsten Mehrheit von 20:21 Stimmen setzten sich die Befürworter der Gemeinschaftsschule unter den Katholiken schließlich durch.
In der Folge versuchten verschiedene Katholiken, mit Einsprüchen die Einrichtung der Gemeinschaftsschule zu verhindern, scheiterten jedoch, so dass die Gemeinschaftsschule eingerichtet wurde.
Die Mitbestimmung der Gemeinden über den Charakter ihrer örtlichen Volksschulen hatte schon nach wenigen Jahren ein Ende, als mit dem Gesetz vom 18. September 1876 lapidar bestimmt wurde:
„Der Unterricht in der Volksschule wird sämmtlichen schulpflichtigen Kindern gemeinschaftlich ertheilt, mit Ausnahme des Religionsunterrichts, soferne die Kinder verschiedenen religiösen Bekenntnissen angehören.“ Diese Regelung gilt bis heute.
Dr. Keßler schloss seinen Vortrag mit folgendem Fazit: „Leimen kann für sich in Anspruch nehmen, schon im 19. Jahrhundert mit an der Spitze einer Bewegung gestanden zu haben, die, hier mit dem gemeinsamen Schulbesuch, dem Abbau von Vorurteilen zwischen religiösen Bekenntnissen dient und im 20. Jahrhundert den Namen ‚Ökumenische Bewegung‘ bekam.“
Im Anschluss an den Vortrag beantwortete Dr. Keßler verschiedene Fragen und es fand eine Diskussion über kirchliche Ökumene sowie Integration im Generellen statt.
Alexander Hahn dankte Herrn Dr. Keßler für den kenntnisreichen Vortrag und schloss mit den Worten: „Es ist dem Mut und dem beherzten Handeln Einzelner zu verdanken, dass wir in Leimen mit der heutigen Turmschule eine der ältesten konfessionsübergreifenden Schulen Badens haben. Daran sollten wir alle uns ein Beispiel nehmen.“