Von der Auferstehung Jesu, dem leeren Grab und der Aufregung, ja geradezu dem Schrecken, dem Entsetzen und einer panischen Angst darob, berichten alle vier Evangelien in unterschiedlicher dramaturgischer Gestaltung. Der Evangelist Lukas schildert die Ereignisse in sachlich-nüchterner Diktion (Lukas 24, 1-12)
Aber am ersten Tag der Woche sehr früh kamen sie zum Grab und trugen bei sich die wohlriechenden Öle, die sie bereitet hatten. 2 Sie fanden aber den Stein weggewälzt von dem Grab 3 und gingen hinein und fanden den Leib des Herrn Jesus nicht. 4 Und als sie darüber ratlos waren, siehe, da traten zu ihnen zwei Männer in glänzenden Kleidern. 5 Sie aber erschraken und neigten ihr Angesicht zur Erde. Da sprachen die zu ihnen: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? 6 Er ist nicht hier, er ist auferstanden. Gedenkt daran, wie er euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war 7 und sprach: Der Menschensohn muss überantwortet werden in die Hände der Sünder und gekreuzigt werden und am dritten Tage auferstehen. 8 Und sie gedachten an seine Worte. 9 Und sie gingen wieder weg vom Grab und verkündigten das alles den Elf und allen andern Jüngern. 10 Es waren aber Maria Magdalena und Johanna und Maria, des Jakobus Mutter, und die andern Frauen mit ihnen; die sagten das den Aposteln. 11 Und es erschienen ihnen diese Worte, als wär’s Geschwätz, und sie glaubten ihnen nicht. 12 Petrus aber stand auf und lief zum Grab und bückte sich hinein und sah nur die Leinentücher und ging davon und wunderte sich über das, was geschehen war.
Das leere Grab im Zusammenhang mit dem Tod Jesu – was wurde darüber nicht schon alles geschrieben und spekuliert! Die Auferstehungsberichte seien als psychologische Phänomene zu entlarven, die Behauptung von der Auferweckung Jesu sei deshalb schlicht eine Falschmeldung. Die Verehrung eines Gekreuzigten hat dem Christentum bereits in der Antike Unverständnis und Spott eingebracht. Der heidnische Philosoph Celsus aus dem 2. Jahrhundert tat die Nachricht vom leeren Grab als Frauengeschwätz ab.
Insbesondere die sogenannte „Scheintod-Theorie“ erfreute sich im 18. und 19. Jahrhundert rationalistischer Beliebtheit und gebar eine wundersame Theorie, die „Indien“- bzw. „Kaschmirtheorie“: Jesus sei schwerverletzt mit Frau, Kind und Kegel über die Seidenstraße nach Indien geflohen, habe sich dort eines angenehmen Lebens erfreut und sei dort gestorben. Ende gut, alles gut. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute. So enden Märchen.
Das leere Grab, das die Frauen am „ersten Tag der Woche“, nach dem Sabbat und in der christlichen Tradition am Ostersonntag vorfanden, stellt nun in der Tat eine Herausforderung und eine Zumutung an Vernunft und Glauben dar: die Auferstehung Jesu, die Auferweckung eines Toten, ist eine sperrige Vorstellung, die heute wie damals Kopfschütteln, Unverständnis und Spott hervorruft – bildlich in einem römischen Graffiti aus dem 2. Jahrhundert auf den Punkt gebracht: der gekreuzigte Jesus wird als Esel angebetet.
Fakt ist: Das Grab war leer. Das berichten alle vier Evangelisten übereinstimmend. Damit könnte die Ge-schichte zu Ende sein. Fakt ist aber auch, dass es für die Frauen, die den Leichnam mit Öl und teuren Gewürzen salben wollten, nicht vorbei ist – sozusagen war für sie das Glas halb voll und nicht halb leer. Für die Männer, die Jünger, war das Glas wohl schon ziemlich leer. Sie verschanzten sich in ihren Wohnungen, wahrscheinlich aus Angst, in der Öffentlichkeit als Anhänger des zum Tode Verurteilten wahrgenommen zu werden und dadurch nicht geringe Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen zu müssen.
Doch zurück zu den Frauen. Trotz des Schreckens (Lukas), der sie angesichts des leeren Grabes erfasste, trotz der Furcht (Matthäus), trotz des Entsetzens, das sie erfasste (Markus) finden sie den Mut und die Kraft, die Botschaft des Engels von der Auferstehung Jesu den sich verschanzt habenden Männern mitzuteilen: „Sie eilten voll Furcht und großer Freude zu seinen Jüngern, um ihnen die Botschaft zu verkünden“ (Matthäus, 28,8).
Frauen werden zu den ersten Boten der Auferstehung, indem sie mündig werden, Herz und Verstand zusammen nehmen, den Mut aufbringen, ihren Mund aufzutun und den ängstlichen, kleinmütigen – also mutlosen – Männern das Ungeheuerliche mitzuteilen.
An Ostern wird von vielen Kanzeln der Gruß an die Menschen ausgesendet: „Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Ja, dem ist so: Er ist wahrhaftig auferstanden in dem Mut, der Courage, der Freu-de trotz der Furcht der Frauen, dem Leben und der Zukunft mehr Bedeutung zu geben als dem Tod und der Vergangenheit. Mit einem Zeitzünder vergleichbar und damit verzögert wird schließlich auch bei den Jüngern die Botschaft zünden.
Ostern, die Auferstehung Jesu, ist eine Emanzipations- und Freiheitsgeschichte: Menschen machen sich auf und vertrauen ‚den neuen Wegen, auf die sie gestellt werden‘: „Die Tore stehen offen. Das Land ist hell und weit“, wie es in einem Kirchenlied heißt. Bis dato war Emanzipation eine männliche Angelegenheit: Der römische Hausvater entließ den Sohn aus der väterlichen Gewalt oder der Patron ließ einen Sklaven frei. Mit Ostern und seiner Auferstehungsbotschaft wird die Welt und ihre Koordinaten neu vermessen und es findet eine „Umwertung der alten Werte statt“ oder wie es Paulus im Brief an die Galater formuliert: Wir alle sind zur Freiheit berufen, denn wir alle sind „einer“ in Christus: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau“ (Galater5,13, Galater 3,28).
Ostern und seine Auferstehungsbotschaft stellen einen Paradigmenwechsel dar: Nichts ist mehr, wie es bisher war. Genau das symbolisiert das leere Grab: Das Alte ist vergangen, siehe ich mache alles neu. Das Neue ist die Zusage, das Versprechen, die Hoffnung und auch die glaubende Gewissheit, dass es Leben trotz und nach dem Tod gibt und geben wird. Die Frauen am leeren Grab sind hierfür überzeugende und glaubwürdige Zeugen – und einer „Indien- bzw. Kaschmirtheorie“ bedarf es nun endgültig nicht mehr.
Ein Hinweis an dieser Stelle zum Thema „Frauen, Quote, Mitbestimmung“: Ein lesenswerter, sicherlich auch kontroverse Diskussionen evozie-render, Artikel von Dr. Reinhard K. Sprenger in der NZZ , Neue Zürcher Zeitung, vom 7.3.19: „Respektiert ihr Frauen? Dann hört auf mit dem Frauenzählen!“
Jörg Diehl
Theologischer Berater