Von Palmyra nach Paris

Von Palmyra nach Paris:

Die Terroranschläge von Paris haben nicht nur die wahllose Tötung von Menschen im Blick gehabt – sie sind der gezielte Versuch, die westlich-europäische kulturelle Identität zu zerstören

Die Sprengung und Zerstörung der antiken Wüstenstadt Palmyra durch den sogenannten „IS“ („Islamischer Staat“) im Frühjahr dieses Jahres war eines der vielen mörderischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In meiner Stellungnahme vom September d.J.: „Ein Plädoyer für Aufklärung, Toleranz und Frieden. Kulturelle Barbarei und Vandalismus sind ein zivilisatorisches Verbrechen“ schrieb ich, dass die vom „IS“ verübte Barbarei „auch der Lackmustest für unsere westliche Zivilisation und ihre Überzeugungen“ sei; „dass die Werte der Aufklärung (…) die Widerstandskraft sind, die eigene kulturelle Herkunft und Identität lebendig zu gestalten“.

Das entsetzliche Geschehen am vergangenen Freitag in Paris lässt diese Gedanken und Worte verblassen angesichts der vielen Toten und Schwerverletzten, die das angerichtete Blutbad hinterlassen hat. Persönlich und im Namen der „Christliche Liberale – Christen bei den Freien Demokraten Baden-Württemberg e.V.“ spreche ich meine tiefempfundene Trauer und Anteilnahme allen Familienangehörigen, Freunden und Bekannten der Getöteten aus.

Die politische Elite verurteilte dieses Verbrechen nicht nur unisono auf das Schärfste, sondern wurde nicht müde, sich konsequent widerstandswillens und -fähig zu zeigen, die Werte der freiheitlichen Demokratie gegen die Angriffe des Terrors zu verteidigen. Das ist richtig und gut so.
Ob nun das schreckliche Ereignis in Paris der „Lackmustest“ für die Widerstandsfähigkeit für unsere westliche Zivilisation und ihre Überzeugungen ist – das bleibt unbeantwortet. Jedoch hat der Terroranschlag mit seinen vielen Opfern eine neue Dimension erreicht: er ist der gezielte Versuch, unsere „unislamische Identität“ zu zerstören – wobei offen bleibt, was bei dieser Terrormiliz überhaupt an (islamischer) Religion und Kultur zu erkennen ist.

Immer wieder sind die berechtigen Stimmen derer zu vernehmen, die konstatieren, dass „der Islam“ nicht wie das Christentum durch Aufklärung und Rationalismus geläutert und geklärt worden sei (und wie umgekehrt die Aufklärung ohne das jüdisch-christliche Erbe nicht denkbar gewesen wäre) und dass eine historisch-kritische Koranlektüre immer noch vielen Anhängern (und Gelehrten) fremd sei. Gemeint ist damit, dass „der Islam“ den Weg durch die Moderne nicht angetreten hat. Bezüglich des religiösen Fundamentalismus, der sich bei den Attentätern von 9/11 zeigte, sagte der Sozialphilosoph Jürgen Habermas in seiner Dankesrede zur Verleihung des „Friedenspreises des deutschen Buchhandels“ im Oktober 2001: „Trotz seiner religiösen Sprache ist der Fundamentalimus ein ausschließlich modernes Phänomen. An den islamischen Tätern fiel sofort die Ungleichzeitigkeit der Motive und der Mittel auf. Darin spiegelt sich eine Ungleichzeitigkeit von Kultur und Gesellschaft in den Heimatländern der Täter, die sich erst infolge einer beschleunigten und radikal entwurzelten Modernisierung herausgebildet hat“ (Jürgen Habermas, Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels in der Paulskirche in Frankfurt am Main, Oktober 2001, Glauben und Wissen, Seite 9)

Diese Analyse Habermas‘ hat auch aktuell noch ihre Bedeutung und ist lesens- und erinnernswert.

Nicht weniger bedeutsam gerade im Hinblick auf die aktuelle Situation und die verkündete Verteidigung der westlich-europäischen Werte ist ein Blick auf ein Gespräch, das Jürgen Habermas und der damalige Kardinal Joseph Ratzinger im Januar 2004 in der katholischen Akademie Bayerns in München führten: „Dialektik der Säkularisierung: Über Vernunft und Religion“. Habermas betonte in seinem Vortrag die auch schon 2001 ähnlich geäußerten Gedanken zum Verhältnis von jüdisch-christlicher Religion und Moderne, Aufklärung und Vernunft: beide – Religion und Vernunft – seine wechselseitig auf sich angewiesen. Es gehe darum, die vernünftigen Gehalte der religiösen Überlieferung „im Schmelztiegel begründeter Diskurse aus ihrer ursprünglich dogmatischen Verkapselung freizusetzen und auf diese Weise eine inspirierende Kraft für die ganze Gesellschaft entfalten zu können“. Und: „Vernunft ist für mich der Logos der Sprache. Deshalb würde es mir am leichtesten fallen, an den heiligen Geist zu glauben“.

Die gegebene islamistische Terrorherausforderung – sie ist auch eine Aufforderung an uns, sich der kulturell-religiösen Wurzeln und ihrer Transformationsprozesse immer wieder und immer wieder neu und klar bewusst zu werden. Nur so können wir von einer Identität der europäischen Werte(-Gemeinschaft) sprechen und nur so können wir überzeugend jedwedem Hass, seiner menschenverachtenden Fratze und seiner Todesideologie auch mit Überzeugung und Rückgrat begegnen.

Jörg Diehl
1. Vorsitzender
Christliche Liberale.- Christen bei den Freien Demokraten Baden-Württemberg e.V.