Wider die menschenverachtende Barbarei im Namen einer Religion

Wider die menschenverachtende Barbarei im Namen einer Religion

Stellungnahme zum Terroranschlag in Pakistan vom Ostersonntag, 27.3.2016

72 Menschen, allein fast die Hälfte davon Kinder, wurden am Ostersonntag in einem Freizeitpark der pakistanischen Großstadt Lahore von einem Selbstmordattentäter der radikalen Taliban-Gruppierung „Jamaat-ul-Ahrar“ getötet. Die Menschen hielten sich in dem Park auf, um Ostern zu feiern. „Wir haben das Attentat von Lahore begangen, weil Christen unser Ziel sind“, so der Sprecher dieser Gruppierung.

Pakistan: 97% der Bevölkerung gehören dem Islam an. Der Islam ist Staatsreligion. Christen stellen in Pakistan eine Minderheit dar: ca. drei Millionen Christen leben dort; das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 1,6%. Seit Jahren schon leiden sie wie andere religiöse Minderheiten auch nicht nur unter dem wachsenden Terror, sondern auch unter dem Blasphemiegesetz: wer den Propheten beleidigt oder den Koran entweiht, dem droht die Todesstrafe. Blasphemievorwürfe gegen Christen führten in der Vergangenheit immer wieder zu Todesurteilen und Verbrennungen von Christen.

Das am Ostersonntag geschehene grausame und widerwärtige Attentat in Lahore auf Menschen, die friedlich und in Festtagsstimmung mit ihren Familien das Osterfest begehen wollten, ist kein Einzelbeispiel. Seine mediale Aufmerksamkeit „verdankt“ es nicht nur der großen Zahl an Toten und der rohen, abgebrühten Kaltblütigkeit, mit der die islamistische Terrorgruppe diesen Selbstmordanschlag verüben ließ, sondern auch seiner zeitlichen Platzierung: Ostern, das christliche Friedens-, Versöhnungs- und Hoffnungsfest schlechthin, ist ein gut gewählter Termin, um international Schlagzeilen zu schreiben – und um der christlichen Botschaft der Barmherzigkeit, des Respektes und der Brüderlichkeit untereinander eine schallende Ohrfeige zu verpassen.

Doch sollte man sich von diesem wenn auch noch so schrecklichen Ereignis nicht die Augen trüben lassen:
Christen sind die heute am meisten verfolgte Glaubensgemeinschaft: Was in Lahore geschah, ist im Grunde nur die (extreme) Spitze eines Eisberges: das christliche Hilfswerk „Open Doors“ schätzt, dass weltweit ca. 100 Millionen Christen verfolgt, misshandelt und getötet werden. Zu den Ländern, in denen dies geschieht, gehört nicht nur die islamische Republik Pakistan, sondern auch Staaten wie Nordkorea, China, Iran, Somalia etc.: „In vielen muslimischen Ländern hoffen Christen vergeblich auf den Schutz von staatlichen Stellen…es gilt noch nicht einmal als Kavaliersdelikt, einen Christen zu erschießen, zu erdolchen oder zu erschlagen“ (vgl. „Alle fünf Minuten wird ein Christ getötet“ in der „Welt“ vom 19.09.2012). Wie richtig und zutreffend diese Aussagen sind, zeigt sich auch an der Absicht jemenitischer Islamisten, den katholischen Priester Pater Thomas am diesjährigen Karfreitag zu kreuzigen (vgl. „Unklarheit um das Schicksal von Pater Thomas im Jemen“ in den „Salzburger Nachrichten“ vom 28.03.2016).

Als Christliche Liberale verurteilen wir auf das Schärfste das menschenverachtende Verbrechen an den Christen in Lahore und andernorts. In Freiheit seine Religion und seinen Glauben geschützt und in körperlicher und seelischer Unversehrtheit leben und bekennen zu können, ist nicht nur ein Grund- und Menschenrecht: es ist vor allem auch Ausdruck gelebter und gestalteter Zivilisiertheit.
Dass europäische Staaten mit dem beginnenden Kolonialismus im 15. Jahrhundert und vor allem in der Zeit des Imperialismus im späten 19. Jahrhundert und in ihrer „zivilisatorischen Mission“ anderen, indigenen Kulturen ihren Maßstab an Kultur und Religion aufgezwungen haben (und dies oftmals auf brutale und grausame Weise), ist ein dunkles Kapitel in der europäischen Geschichte, an der es nichts zu entschuldigen gibt.
Sofern und soweit man „aus der Geschichte lernen kann“, ist Europa in den letzten siebzig Jahren erfolgreich den Weg des Friedens und der Zivilisiertheit gegangen und hat aus seinen tragischen und auch katastrophalen Fehlern gelernt – die Entkoppelung von Religion und Politik, Staat und Religion ist ein entscheidender und richtiger Schritt in diese lange währende Friedenszeit gewesen.
Die sich bei uns damit vermehrt einstellende Säkularisierung der Gesellschaft ist eine nachvollziehbare und auch m.E. konsequente Folge.

Jedoch dürfen auch der zunehmend säkularer werdenden deutschen Gesellschaft, für die viele kirchliche Feiertage nur noch oder fast nur noch freie Tage und Ferientage darstellen, die Verbrechen an Christen besonders in islamischen Staaten nicht gleichgültig sein.

Auch säkulare Gesellschaften und ihre Bürgerinnen und Bürger sind aufgerufen und aufgefordert, jede Form von blinder und brutaler Gewalt beim Namen zu nennen, zu verurteilen und zu bekämpfen – das fordert die Zivilisiertheit als das vielleicht höchste und wichtigste Gebot der säkularen Gesellschaft.

Jörg Diehl
1. Vorsitzender
Christliche Liberale.- Christen bei den Freien Demokraten Baden-Württemberg e.V.