Religion ist nicht Gewalt, Terror und Zerstörung

Trotz „Jenseits von Eden“:

Religion ist nicht Gewalt, Terror und Zerstörung

Ein Schreckgespenst ist in der Welt aufgetaucht: der sogenannte „Islamische Staat“ (IS), dessen Anführer im letzten Jahr ein Kalifat ausgerufen hat, das sich nach den seinen und seiner Anhänger Phantastereien über den Irak, Syrien, Israel und Ägypten bis nach Europa ausbreiten soll. In einem Propagandavideo des „IS“ wurde denn auch schon mal die schwarze Flagge des „IS“ auf dem Kolosseum in Rom gehisst – auf einem der nächsten Videos wird wahrscheinlich der Petersdom schwarz eingefärbt sein. Nein, wahrscheinlich wird er als monströses Symbol der „Ungläubigen“ dem Erdboden gleichgemacht werden wie die entsetzlichen Zerstörungen in der antiken Stadt Palmyra, Hatra oder die nicht weniger entsetzliche und sprachlos machende Zerstörung der antiken Stadt Nimrud.
„Wir alle sind Gilgamesch“ titelte der kürzlich verstorbene FAZ-Redakteur Dieter Bartetzko in einem Beitrag in der FAZ vom Mai 2015 (er hatte den zweiten Irakkrieg als Anlass und Hintergrund seines Beitrages).

Ja, wir alle sind „Gilgamesch“ – oder anders gewendet: Die zivilisierte Menschheit ist verbunden mit und durch ein kollektives Gedächtnis, das die humanen Veränderungskräfte der Religionen bewahrt und für ein friedlich-gedeihliches Miteinander der unterschiedlichen Kulturen im Sinne eines gemeinsamen Ethos fruchtbar macht.

Das europäische Christentum hat – trotz aller Schlag- und Schattenseiten seiner Geschichte – wichtige Beiträge zur europäischen Aufklärung geleistet. Die Aufklärung ist nicht – wie von manchen orthodoxen Aufklärern in einem immer wieder populistisch anmutenden Postaufklärungsgeist behauptet – die Überwindung der autoritären und restriktiven Religion, sondern ein Teil der jüdisch-christlichen religiösen Tradition, wie umgekehrt diese Religionen Gedanken der Aufklärung vorbereitet haben und auch umgesetzt haben. Erinnert sei an das moderne Grundrecht der Religionsfreiheit, das auch in seiner zivil-bürgerlichen Form zu tiefst von neutestamentlichen Vorstellungen der Freiheit eines Christenmenschen und damit in Verbindung: der Reformation geprägt ist.
Und: Das europäische Christentum ist selbst durch die Aufklärung „aufgeklärt“ worden. Ein beredetes Beispiel lieferte der Sozialphilosoph Jürgen Habermas in seiner Rede zur Verleihung des „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“ im Oktober 2001: die kognitiven Gehalte der religiösen Überlieferung sollten – nach ihrer Freisetzung aus ursprünglich dogmatischen Verkapselungen – freigesetzt werden, um so eine „inspirierende Kraft für die ganze Gesellschaft entfalten zu können“.

Nun auf denn: Lassen wir die (aufgeklärte) Moderne, den Reichtum unserer religiösen und kulturellen Tradition bitte nicht erst mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung (1776) oder der Französischen Revolution (1789) beginnen, sondern erinnern wir uns unseres kulturellen Gedächtnisses, das mehr und größer ist als manche allzu schnell denkenden Aufklärer vorgeben.

Jörg Diehl
1. Vorsitzender
Christliche Liberale.- Christen bei den Freien Demokraten Baden-Württemberg e.V.